
Leipzigs Fußball wird familiär. Während sich die ganze Verwandtschaft um das strahlende Baby RB kümmert, schreit der ältere Bruder Lok nach Aufmerksamkeit. Und droht, bald nur noch als schwieriges Problemkind wahrgenommen zu werden.
Doch seit ein paar Tagen lässt Lok Leipzig wieder positiv aufhorchen. Zunächst kam Weltmeister Paul Breitner für einen Tag als Gasttrainer zu Besuch, nun wurde Heiko Scholz für die Restsaison als Cheftrainer vorgestellt. Endlich mal wieder große Namen im ebenso altehrwürdigen wie baufälligen Bruno-Plache-Stadion. Lok ist Tabellenletzter der Regionalliga Nordost. Scholz gehört zur goldenen Generation bei Lok Leipzig der späten 1980er Jahre, spielte im Europapokal, wurde Nationalspieler, zog nach der Wende weiter in die Bundesliga. Doch zuletzt hießen seine Stationen auch nur noch MSV Duisburg, Germania Windeck und Viktoria Köln. Aber Scholz will helfen: „Ich möchte hier für Aufbruchstimmung sorgen, wenn ich mir das marode Stadion anschaue, das ist eines Lok Leipzig unwürdig.“
Heiko Scholz ist der zehnte Trainer in nicht einmal fünf Jahren. Eigentlich kann sich Lok Leipzig das Vereinsidol gar nicht leisten. Im Vorjahr entging der Traditionsverein nur knapp einer Insolvenz. Aber Scholz brachte einen eigenen Sponsor aus seinen Kölner Zeiten mit, der den prominenten Cheftrainer bis zum Saisonende finanziert. Um den Absturz in die Oberliga zu verhindern.
Lok macht sich selbst das Leben schwer
Dort kreuzten sich vor vier Jahren erstmals die Wege mit RB. Der damals gerade erst gegründete Verein mit dem potenten Geldgeber aus Österreich gewann beide Spiele und stieg direkt auf. Das Projekt Lok Leipzig, das seit seiner Neugründung 2004 im Gegensatz zum hoch eingestiegenen Stadtrivalen einen imposanten Ritt durch die unteren Ligen hingelegt hatte, stockt just seitdem.
Sportlich hat RB Leipzig längst die Vormachtstellung übernommen. Ob das direkt miteinander zusammenhängt, weil RB Leipzig die Aufmerksamkeit von Sponsoren und Stadt auf sich konzentriert und im großen Schatten kaum Licht auf die Konkurrenten fällt, wird in der Messestadt immer wieder erregt diskutiert. Viele Probleme bei Lok Leipzig sind aber hausgemacht. Eine falsche Kalkulation und schlechte Geschäftsführung sorgte im Frühjahr fast zur erneuten Insolvenz. Und bei der Suche nach Geldgebern stieß man schnell an Sympathiegrenzen. Also mussten die hartgesottenen Fans und Mitglieder – im Kern noch etwa 2000 – den Verein retten. Sie trugen mit Spenden und einer am Ende unüberschaubaren Menge an kleinen Geld-Generier-Aktionen fast 200.000 Euro zusammen. Doch zugleich fallen Teile dieses Kerns auch regelmäßig dadurch auf, dass sie zu viel für ihren Verein geben. In Babelsberg eskalierte beim ersten Saisonspiel die Situation. Doch im Gegensatz zur Vergangenheit folgte eine bemerkenswerte Reaktion der neuen Vereinsführung. Sie griff durch, distanzierte sich von den Randaliern und schloss die Fangruppierung „Scenario“, der Nähe zur rechten Szene nachgesagt wird, aus. Seit Anfang September wehrt sich der Verein zudem vehement gegen Vorwürfe, Verantwortliche des Berliner Athletik Klub bei einem Gastspiel in Probstheida rassistisch beleidigt zu haben. Hier steht nach wie vor Aussage gegen Aussage.
Die neue Führung um Präsident Heiko Spauke – selbst mit einer kurzen Vergangenheit bei den Republikanern – geht offensiver gegen das schlechte Image vor. Der Journalist Ronny Blaschke hatte vor wenigen Jahren recherchiert, wie die Lok-Fanszene von Nazis unterwandert wurde. Der Verein wirkte hilflos und inkonsequent. So passt die Meldung, dass mittlerweile auch Teile von „Scenario“ begnadigt wurden: Spauke sagt nun, sie würden sich ändern wollen und den Weg gegen Rassismus mitgehen.
Der Verein kommt nicht zur Ruhe, auch weil Selbst- und Fremdwahrnehmung genauso weit auseinander liegen wie die Philosophien von Lok und RB. „Das sind zwei verschiedene Welten. Ihre Philosophie basiert auf wirtschaftlichem Denken, was heute natürlich wichtig ist, unsere auf Tradition, auch wenn wir uns davon nichts kaufen können“, sagt Lok-Vizepräsident René Gruschka. Das Verhältnis zu RB Leipzig sei aber mittlerweile professionell, „aber wir dürfen keine direkte Unterstützung erwarten“. Langfristig wolle man sogar vom anzunehmenden Durchmarsch des Konkurrenten profitieren. Deshalb versuchen die Verantwortlichen, die Schärfe aus dem Duell gegen den ungeliebten Emporkömmling zu nehmen. Auch die Polizei betonte im Vorfeld, dass es bei den Regionalliga-Spielen im Vorjahr, außer kleineren Rangeleien, keinerlei Vorkommnisse im und um das Stadion gab. Die kann sich Lok Leipzig derzeit eh nicht leisten. Jede Verbandsstrafe ist nach wie vor existenzgefährdend. Für RB Leipzig ist die Partie sowieso nur eine Pflichtaufgabe, in der es gilt, weiterzukommen und den Status als Nummer Eins der Stadt zu untermauern. Und für viele alt eingesessene Lokisten ist das Spiel kein Derby. Das waren die Duelle gegen Chemie bzw. Sachsen.
„Werde sich auch mal hingehen“
Die Zeiten sind in Leipzig vorbei. Dem in zwei Vereine zerfallenen Konkurrenten geht es noch schlechter. Aber das hilft in Probstheida niemandem. Etwas neidisch schaut man in das zur Arena modernisierte Zentralstadion und vor allem auf das 30 Millionen teure Trainingszentrum des neureichen Konkurrenten ein paar hundert Meter weiter.
Der Aufstieg in die Bundesliga scheint für das Projekt RB Leipzig auf Dauer unaufhaltbar. Mit etwas Glück und Konstanz könnte schon am Ende dieser Saison der Durchmarsch in die 2. Bundesliga gelingen. Selbst Gruschka schaut schon in die Zukunft: „Sollte RB irgendwann in der ersten Bundesliga spielen, werde ich da sicher auch mal hin gehen – wenn auch nicht mit RB-Schal, sondern um ein Bundesliga-Spiel zu sehen.“ Ein prominenter Lokist hat bereits die Seiten gewechselt. Steffen Kubald, seit der Neugründung des 1. FC Lok vor zehn Jahren bis zum vergangenen Jahr Präsident, ist mittlerweile Sicherheitschef – in der RB Arena.
Auch die Leipziger folgen dem Lockruf und stehen dem vom österreichischen Brause-Hersteller Dietrich Mateschitz finanzierten Projekt zunehmend positiver gegenüber. In der dritten Liga kommen im Schnitt mehr als 12.000 Zuschauer. Nur der MSV Duisburg hat dank der wieder entflammten Liebe seiner Fans mehr. Bei Lok Leipzig sammeln sich eine Liga tiefer oft nicht mal mehr 2000 Leute. Gerade neutrale Fußball-Fans bevorzugen längst den Weg in Arena.
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